Előszó
EINLEITUNG
Eines der bedeutendsten Denkmäler der ungarischen und zugleich der osteuropäi-
schen Musikgeschichte ist das aus dem 12. Jahrhundert stammende Antiphonar, das
nach seinem jetzigen Aufbewahrungsort Grazer Kodex, nach seinem Fundort auch
Codex Albensis genannt wird.
In Anbetracht der Wichtigkeit des Kodex veröffentlichen wir ihn — nach den
Methoden der Paléographie musicale — in einer Faksimile-Ausgabe. Wir halten es
für angebracht, daß die europäische Musikwissenschaft dieses so frühe, außerdem so
mannigfaltige und gerade aus diesem Gebiet Mitteleuropas stammende Dokument
kennenlernt, da es ein beredtes Kulturdenkmal jenes Ungartums ist, das als letzte
Welle der Völkerwanderung hierher vorgedrungen war, und weil es zu den ersten
Äußerungen des damals erst seit einigen Jahrzehnten hier angesiedelten ungarischen
Volkes gehört.
Zwei Gruppen des vom Osten her vorgedrungenen Ungartums, das zunächst in
seiner alten Stammes Verfassung weiterlebte, führten im Laufe des 12. Jahrhunderts
in diesem Raum heftige Kämpfe gegeneinander: die eine Partei, die ganz Europa
durchstürmen und auf Beute ausgehen wollte, war bestrebt, das angestammte Heiden-
tum zu bewahren; die andere hingegen wollte unter ihrem ersten König Stephan
(gest. 1038, heiliggesprochen 1083) eine neue Gesellschaftsordnung einführen. Stephan
hatte als erster erkamit, daß sich das Ungartum in diesem Gebiet nur dann behaupten
und in die Gemeinschaft der europäischen Völker einfügen konnte, wenn es die alte
Lebensweise aufgab, mit den Beutezügen aufhörte und zu einer neuen Gesellschafts-
ordnung überging — eine Umstellung, die gleichzeitig die Annahme des Christentums
einschloß. König Stephan ging sowohl bei der Staatsgründung als auch bei der Ein-
führung der neuen Kirche sehr gewaltsam vor; dies aber war notwendig, denn sonst
hätten die europäischen Völker, die sich bereits zu diesem Zweck vereinigt hatten,
das ungarische Volk vernichtet.
Diese am Anfang des 11. Jahrhunderts begonnene große Umgestaltung löste im
Volke des Landes einen heftigen Widerstand aus. Die Unruhen wegen der neuen
Gesellschaftsordnung dauerten jahrzehntelang. Im König-Stephan-Offizium, in dessen
Antiphonen und Responsorien, spiegelt sich diese Auffassung wider, wo der Kleriker
des angehenden 12. Jahrhunderts die großartigen, kämpf reichen Jahre der Bekehrung
durch Stephan besingt. Der Autor legt sich in einigen Fällen die Textzeilen so zurecht,
daß in ihnen Rhythmus pulsiert, und komponiert über den Text Melodien, die das
im Abfall vom Heidentum begriffene, aber dem Heidentum noch vielfach ergebene
Ungartum am König-Stephan-Tag, dem 20. August, der Bestrebung des großen
Staatsgründers nahezubringen geeignet sind.
Vissza