Fülszöveg
Hildesheimers Mozart-Buch ist noch immer einzigartig in der kritischen und sensiblen Darstellung seines Gegenstandes. Woifgang Hildesheimer hat seine Arbeit über Mozart als sein Lebensbuch bezeichnet. Dieses außerordentliche literarische Werk über die Jahrtausendgestalt Mozart hat bei seinem Erscheinen hymnische Rezensionen erhalten. Neuartig war und ist es, weil es mit bisher niemals angewandten Kategorien seinen Gegenstand darstellt. Und es ist die Summe einer über zwanzigjährigen Beschäftigung mit Mozart.
Als man am 6. Dezember 1791 den schmächtigen, verbrauchten Körper Mozarts ins dürftige Grab senkte - den Körper eines Menschen, der in den letzten Jahren Verkannt-, Vergessen- und Ubergangen-Werden, Isolation und Vereinsamung erdulden mußte -, da ahnte niemand, daß hier die sterblichen Überreste eines unfaßbar großen Geistes zu Grabe getragen wurden. Mozarts Ruhm war zu dieser Zeit geschwunden. Dann kamen posthum Verklärung, Pathos, seine letzte Symphonie nannte man...
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Fülszöveg
Hildesheimers Mozart-Buch ist noch immer einzigartig in der kritischen und sensiblen Darstellung seines Gegenstandes. Woifgang Hildesheimer hat seine Arbeit über Mozart als sein Lebensbuch bezeichnet. Dieses außerordentliche literarische Werk über die Jahrtausendgestalt Mozart hat bei seinem Erscheinen hymnische Rezensionen erhalten. Neuartig war und ist es, weil es mit bisher niemals angewandten Kategorien seinen Gegenstand darstellt. Und es ist die Summe einer über zwanzigjährigen Beschäftigung mit Mozart.
Als man am 6. Dezember 1791 den schmächtigen, verbrauchten Körper Mozarts ins dürftige Grab senkte - den Körper eines Menschen, der in den letzten Jahren Verkannt-, Vergessen- und Ubergangen-Werden, Isolation und Vereinsamung erdulden mußte -, da ahnte niemand, daß hier die sterblichen Überreste eines unfaßbar großen Geistes zu Grabe getragen wurden. Mozarts Ruhm war zu dieser Zeit geschwunden. Dann kamen posthum Verklärung, Pathos, seine letzte Symphonie nannte man »Jupiter-Symphonie«, ein für Mozart sicherlich unbegreiflicher Name. Daß er mit letzter Kraft seine letzte Messe zu intonieren suchte, ist wohl Mythenerzeugnis und Wunschdenken schuldbewußter Nachwelt. Sicher sind auch die Verherrlichungen und Verklärungen der Mozart-Biographen aus solchem Schuldbewußtsein entstanden. Mozart wurde immer mehr zum Objekt des Wunschdenkens seiner Biographen. Wolfgang Hildesheimer läßt sich von Fehl- und Mißdeutungen durchaus inspirieren. Sie sind die Ansatzpunkte für die Korrektur des Mozart-Bildes, das durch Generationen lasurenweise entstanden ist und in dem Mozart als »domestizierter Held« erscheint. Hildesheimer spießt das Pathos der Biographik auf und setzt es in Beziehung zu Mozarts großer Musik, die eine
Musik ohne Pathos war, eine Musik der »doppelt-zukunftfähigen« Voraussicht, wie Ernst Bloch es einmal genannt hat, wenn er bei Mozart von der »doppelsinnigen Archetypen-Tiefe« spricht. Hildesheimer hat sich ernsthaft dem Versuch gestellt, wie das Genie Mozart zu ergründen sei. Er präsentiert die Dimensionen des Rätsels Mozart zum ersten Male frei von Affekt und Vorurteil, ausführlich und glaubhaft.
Einzig in seiner Musik hat sich Mozart offenbart, doch auch sie ist nur schwerlich ein Schlüssel zu den Stadien seines Lebens und seiner Erlebnisse. Hildesheimers Buch ist nicht das Buch eines Musikologen, es ist keine Biographie, in welchem Sinne auch immer, es ist das Buch eines Schriftstellers und Künstlers, der dem kreativen Prozeß der Kunst um einiges näher steht, der, geschult durch Psychoanalyse, versucht, den Prozessen des Schöpferischen auf den Grund zu gehen, der aber nicht dem Fehler verfällt, sich der eigenen Seele als Maßstab für die seines Helden zu bedienen.
Mozart ist in diesem Buch neu beleuchtet worden. Man sieht ihn nicht als lichten Apollini-ker, der hin und wieder dionysisch aus der Rolle fällt, sondern man sieht ihn in seiner ganzen Gestalt, in einer Gestalt, die neben erklärbaren Zügen auch eine unheimliche Fremdheit enthält. Mozart war einer, der sich nicht verriet, nicht im Leiden und nicht im Tode, und der doch seinem Elend und der Nichtanerkennung durch die Umwelt den höchsten Reichtum und die größte Intensität seiner Musik abgewann.
»Mit dem Blick des sprachlich Sensibilisierten, des Schriftstellers liest Hildesheimer Mozart, so genau wie wohl noch niemand vor ihm. Was er dabei entziffert, geht weit über die Ansätze auch der kompetentesten Forscher hinaus. Hildesheimers Mozart ist ein Buch des Widerspruchs gegen falsche Tradition und rezeptives Mißverständnis, des Einspruchs gegen die Harmonisierung, Glättung und umstands-lose Einverleibung eines einzigartigen Werks durch ubiquitäre Kulturindustrie, an der wir alle partizipieren.«
Uwe Schweikert
Vissza