Fülszöveg
Schon früh, wenige Jahre nach den »Buddenbrooks«, begann die imposante Reihe meisterhafter Essays, die - ein zweites gewichtiges Ouvre - das erzählerische Schaffen Thomas Manns ein Leben lang begleiteten. »Ich werde meine dichterische Arbeit, soviel >dank-barer< sie sei, wohl niemals vor argen Unterbrechungen und Verzögerungen durch eine essayistische, ja polemische Neigung schützen können, die weit zurückreicht, die offenbar ein unveräußerliches Ingrediens meines Wesens bildet und bei deren Erfüllung ich des Goethe-schen Selbstgefühls, >recht zum Schriftsteller geboren zu sein<, vielleicht erregender teilhaft werde als beim Fabulieren.« So äußerte sich der Dichter selbst über diese andere Seite seiner Produktivität, ihre Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit betonend. Thomas Mann weist - mit Recht - die bei uns so beliebte rigorose Trennung: hie poetischer Gestalter und Schöpfer, dort »nur« kritischer Betrachter entschieden zurück. Seine Essays sind von ebenderselben...
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Fülszöveg
Schon früh, wenige Jahre nach den »Buddenbrooks«, begann die imposante Reihe meisterhafter Essays, die - ein zweites gewichtiges Ouvre - das erzählerische Schaffen Thomas Manns ein Leben lang begleiteten. »Ich werde meine dichterische Arbeit, soviel >dank-barer< sie sei, wohl niemals vor argen Unterbrechungen und Verzögerungen durch eine essayistische, ja polemische Neigung schützen können, die weit zurückreicht, die offenbar ein unveräußerliches Ingrediens meines Wesens bildet und bei deren Erfüllung ich des Goethe-schen Selbstgefühls, >recht zum Schriftsteller geboren zu sein<, vielleicht erregender teilhaft werde als beim Fabulieren.« So äußerte sich der Dichter selbst über diese andere Seite seiner Produktivität, ihre Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit betonend. Thomas Mann weist - mit Recht - die bei uns so beliebte rigorose Trennung: hie poetischer Gestalter und Schöpfer, dort »nur« kritischer Betrachter entschieden zurück. Seine Essays sind von ebenderselben künstlerischen Lebendigkeit und Kraft der Einfühlung wie die Romane und Novellen - sie sind überdies in direkterer, ausdrücklicherer Art Zeugnisse der spezifischen geistigen Welt ihres Autors. Wenn Thomas Mann über Wagner schreibt, über Nietzsche oder die großen Russen, so schwingt bereits in den ersten Zeilen erregend mit, was diese Meister ihm eh und je für Werk und Leben bedeutet haben. Doch nicht nur Wahlverwandten, persönlichen Leitbildern gilt die Bemühung - mit zunehmender Reife und Weite des Blicks wächst das Bestreben, das »Meisterliche« als solches wahrzunehmen, ihm in »liebender Erkenntnis« (Heuss) objektiv gerecht zu werden, indem man ihm wertend, jedoch nicht eifervoll fordernd naht. Selten haben Dichter, ohne an eigener originaler Schöpferkraft Schaden zu leiden, so viel verständnisvolle Aufgeschlossenheit vor fremder Größe bewahrt; nur
bei Hofmannsthal oder auch Rilke mag man in neuerer deutscher Literatur ähnliches finden. Daß ihn, den jeder Eigen-Willigkeit Nachspürenden, auch die »Herrscher« der Tat - Friedrich der Große, Bismarck - faszinierten, darf nicht verwundern.
Um so erstaunlicher dann bei so sublimer Einfühlungsgabe, daß nicht rein ästhetisches Gewährenlassen die Folge, nicht passiv-genußvolle Hinnahme von allem und jedem das Ergebnis ist; der ausgeprägte Humanismus, der mit den Jahren wachsend in ihm Macht gewann, bewahrte ihn davor: »Adel des Geistes« - das ist in seiner Sicht immer auch »Adel des Menschen«. Wohl kannte er sich aus in den Labyrinthen des Genialischen, selbst versucht und gefährdet von mancherlei Dämonien -zuletzt aber entschied er sich für die »bedrohte Vernunft«, die allein den Ausgleich der Kräfte zuwege bringt. Er leugnete nicht die humanitär-ethische Verantwortlichkeit der Kunst wie alles schöpferischen Tuns; er sah sie grundsätzlich einbezogen in das Koordinatensystem allgemeinverbindlicher Wertungen. Da konnte es geschehen, daß Lessing, Schiller, Goethe, »das deutsche Wunder«, Shaw und der »alte Fontane« - die Vernünftigen, die zu Maß, Mitte und Klarheit fanden - nachdrücklich gegen die großen Widervernünftigen, die Maß-losen des Gefühls und der Leidenschaft - Kleist, Wagner, Nietzsche, Strindberg - ausgespielt wurden; doch immer so, daß ein Verstehender, in beiden Fällen Kompetenter sprach. Dem »Interessanten«, Einmaligen, ja Abwegigen offen, dennoch in letzter Instanz für die beispielhafte Gültigkeit humaner »Normalität« plädierend - so stellt sich die Position Thomas Manns in diesen Essays dar, die Position eines Künstlers und Denkers, der - ein seltener Glücksfall in unserem Land! - das Außerordentliche echten Genietums mit geistesklarer Besonnenheit beispielgebend in sich vereinte.
Vissza