Fülszöveg
Seit der polnische Dichter Rózewicz Dramen schreibt (sein erstes Stück „Die Kartei" wurde 1959 uraufgeführt), polemisiert er gegen das Theater, gegen die Konvention auf der Bühne, gegen einen sich metaphysisch spreizenden Modernismus. „Ich unterscheide zwischen ,äußerem' (historischem) und ,innerem' Theater. Zum ,inneren' Theater gelange ich über Spuren und Zeichen, die Dostojewski, Tschechow, Conrad gesetzt haben. Was in Tschechows Stücken passiert, ist zweitrangig - nicht die ,Intrige' und ihre ,Lösung' behält man für immer im Gedächtnis, sondern ihre Atmosphäre, die Leere zwischen den Ereignissen, das Schweigen zwischen den Worten, die Erwartung." Mit diesem Bekenntnis zum „inneren", zum „poetischen" Theater, mit seinem radikalen Verzicht auf herkömmliche dramatische Vorstellungen gerät Rózewicz in Konflikt mit dem Theater überhaupt; deshalb sieht er sich zu Kompromissen genötigt, um seine Stücke überhaupt aufführbar zu machen - er nennt seine dramatischen Versuche schließlich...
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Fülszöveg
Seit der polnische Dichter Rózewicz Dramen schreibt (sein erstes Stück „Die Kartei" wurde 1959 uraufgeführt), polemisiert er gegen das Theater, gegen die Konvention auf der Bühne, gegen einen sich metaphysisch spreizenden Modernismus. „Ich unterscheide zwischen ,äußerem' (historischem) und ,innerem' Theater. Zum ,inneren' Theater gelange ich über Spuren und Zeichen, die Dostojewski, Tschechow, Conrad gesetzt haben. Was in Tschechows Stücken passiert, ist zweitrangig - nicht die ,Intrige' und ihre ,Lösung' behält man für immer im Gedächtnis, sondern ihre Atmosphäre, die Leere zwischen den Ereignissen, das Schweigen zwischen den Worten, die Erwartung." Mit diesem Bekenntnis zum „inneren", zum „poetischen" Theater, mit seinem radikalen Verzicht auf herkömmliche dramatische Vorstellungen gerät Rózewicz in Konflikt mit dem Theater überhaupt; deshalb sieht er sich zu Kompromissen genötigt, um seine Stücke überhaupt aufführbar zu machen - er nennt seine dramatischen Versuche schließlich selbst ein „Theater der Inkonsequenz". „Mein Theater ist ein lebendiger Organismus, dem es wie einem Invaliden geht, der im letzten Krieg sein linkes Bein verloren hat, das ihn nun dauernd schmerzt. Denn dieses Theater hat seine dramatische Handlung verloren Aber dieses verlorene Grundelement bereitet mir dauernd Schmerzen. Manchmal, in einer schwachen Stunde, wenn ein Zusammenbruch droht, bediene ich mich dieses längst verlorenen linken Beines, und dann erinnere ich mich an gewisse in- und ausländische Dramatiker Ich ziehe vor den Großen den Hut und gehe weiter."
Trotz seiner Polemik, die in der These gipfelt, daß „weder die Adaption des ,Rotkäppchens' oder des Telefonbuchs noch die Verstümmelung
Schutzumschlag: Helmut Brade/Lothar Reher
unserer Klassiker die Basis für ein modernes polnisches Theater abgeben" könnte, avancierte Tadeusz Rózewicz mit seinen Stücken zum profiliertesten und erfolgreichsten, wenn auch nicht immer unumstrittenen polnischen Dramadker der Gegenwart. Die acht Stücke dieses Bandes, die einen repräsentativen Überblick über sein Schaffen vermitteln, sind Beispiele für die Suche des Dichters Rózewicz nach einem zeitgemäßen Theater. Seine Helden haben den „Weltuntergang" 1945 überlebt, aber sie sind rat- und tatenlos („Die Kartei"), Relikte der Vergangenheit, die in Kleinbürgerlichkeit versinken und angelerntes Bildungsgewäsch von sich geben - z. B. in der „Laokoongruppe", die „eine Skulptur in Marmelade, nicht in Gips, eine Cloaca maxima der verreckten alten Ästhetik" sein sollte. Es sind Sonderlinge, in ihr eigenes Versagen verstrickt; nicht zufällig läßt Rózewicz sie auf der Bühne zumeist sitzen („Die Zeugen oder Unsere kleine Stabilisierung") oder überhaupt abwesend sein wie den Helden im „Unterbrochenen Akt", der außerhalb der Szene in einem Nebenzimmer in Gips liegt. Auch wenn Rózewicz' dramatisches Konzept nicht unanfechtbar sein mag, liefert er doch einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen zeitgenössischer Dramatik. Selbst da, wo sein Theater absurd anmutet, geschieht das in der Absicht, das Absurde in der Existenz seiner Helden zu bekämpfen. Rózewicz nimmt den Menschen zu wichtig, als daß es ihm allein darum ginge, ihn dem Hohngelächter preiszugeben. Aus der kritischen Einstellung des Dichters gegenüber kleinbürgerlichen Denkvorstellungen und Verhaltensweisen entsprangen ironisch bis grotesk eingefärbte Stücke progressiver Satire und damit echte, amüsante Lesedramen.
Vissza