Religion

Fülszöveg

Der sechste Band der Gesamtausgabe gibt anhand der Schriften Einblick in Wandel und Kontinuität des Fromm-schen Selbst- und Weltverständnisses. Vom ersten größeren Aufsatz »Der Sabbat« aus dem Jahre 1927 an spiegeln die Schriften über fünfzig Jahre hinweg jenes humanistische Glaubensbekenntnis wider, das sein wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Erkenntnisinteresse geleitet und stimuliert hat. Die ersten Publikationen waren noch ganz von den religiösen Fragen der jüdischen Herkunft bestimmt. Sie zeigen aber, mit welcher Vehemenz die neuen Erfahrungen der Freudschen Psychoanalyse gewirkt haben. »Die Entwicklung des Christusdogmas« ist zugleich eine Streitschrift, in der sich Fromm mit seinem Lehrer Reik auseinandersetzt.
Im Gegensatz zu den frühen Schriften ist das vierzig Jahre nach dem Bruch mit der Praxis der jüdischen Orthodoxie geschriebene Buch »Ihr werdet sein wie Gott« ein einmaliges Zeugnis einer nicht-theistischen Religiosität.
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Fülszöveg

Der sechste Band der Gesamtausgabe gibt anhand der Schriften Einblick in Wandel und Kontinuität des Fromm-schen Selbst- und Weltverständnisses. Vom ersten größeren Aufsatz »Der Sabbat« aus dem Jahre 1927 an spiegeln die Schriften über fünfzig Jahre hinweg jenes humanistische Glaubensbekenntnis wider, das sein wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Erkenntnisinteresse geleitet und stimuliert hat. Die ersten Publikationen waren noch ganz von den religiösen Fragen der jüdischen Herkunft bestimmt. Sie zeigen aber, mit welcher Vehemenz die neuen Erfahrungen der Freudschen Psychoanalyse gewirkt haben. »Die Entwicklung des Christusdogmas« ist zugleich eine Streitschrift, in der sich Fromm mit seinem Lehrer Reik auseinandersetzt.
Im Gegensatz zu den frühen Schriften ist das vierzig Jahre nach dem Bruch mit der Praxis der jüdischen Orthodoxie geschriebene Buch »Ihr werdet sein wie Gott« ein einmaliges Zeugnis einer nicht-theistischen Religiosität.
Fromm, der nicht an Gott glaubt, interpretiert die biblische Geschichte Gottes mit dem Menschen als Geschichte der Menschwerdung des Menschen, bei der die Gottesvorstellung
zum symbolischen Hilfsmittel für die Erkenntnis der Zielgestalt des Menschen wird. Anders als bei Freud gehört bei Fromm das Religiöse zum Menschen. Ohne einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe kann der Mensch nicht sinnvoll und erfüllt leben. Daß sich damit aber weder der persönliche Gott des Christentums oder des Islams legitimieren läßt, zeigt »Psychoanalyse und Religion« - ein Buch, das in der Lebensmitte geschrieben wurde. Die psychoanalytische Religionskritik führt bei Fromm zu einer nicht-theistischen Religiosität, der es vor allem um die (im letzten mystische) Erfahrung der Einheit des Menschen mit sich, seiner menschlichen und natüriichen Umwelt und seiner Zielgestalt geht. Um diese Einheitserfahrung geht es der Psychoanalyse und den humanistischen Religionen des Ostens gleichermaßen. »Psychoanalyse und Zen-Buddhismus« ist nach längerer Bekanntschaft mit dem Zen-Meister Suzuki entstanden. Die beiden Titel, ein Vorwort zu einer Ausgabe des sufitischen Mystikers Rumi sowie ein kleiner Beitrag zu Ehren des buddhistischen Mönchs Nyänaponika Mahäthera, weisen auf die Quellen von Fromms eigener religiöser Praxis.
Fromm hat sich die Idee eines allgemeinen messianischen Friedens sein Leben lang bewahrt. Aus den biblischen Quellen hat er die Kraft seines Denkens gezogen. Vielleicht zählt er dereinst zu den Wortführern jener dritten Kraft, die - wie die großen Humanisten am Ende der Glaubenskriege - durch ihre mutigen Ideen dazu beitragen können, daß wir insgesamt toleranter und hilfsbereiter, bedürfnisloser und friedfertiger werden.
Ivo Frenzel Vissza