Fülszöveg
Ludwig Feuerbachs „Theogonie nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums" erschien 1857 in Leipzig. Das Werk war die Frucht sechsjähriger Studien, die unmittelbar im Anschluß an die Drucklegung der im Revolutionsjahr 1848/49 in Heidelberg gehaltenen ,, Vorlesungen über das Wesen der Religion" aufgenommen wurden. In Gemeinschaft mit der Studie „Zur Theo-gonie, oder Beweise, daß der Götter Ursprung, Wesen und Schicksal der Menschen Wünsche und Bedürfnisse sind. Nach den lateinischen Schriftstellern" (1866; enthalten in Band 11 unserer Neuausgabe) bildet diese Schrift ihrer theoretischen Aussage nach die letzte Vollendung von Feuerbachs philosophisch-anthropologischer Theorie vom Wesen der Religion. Feuerbachs erkenntnistheoretisch-psychologische Religionsanalyse gelangt hier, unter philologisch meisterhafter Benutzung der literarischen Bezeugungen des klassischen Altertums zum Beweise seines Standpunktes, zur Theorie des , ,theogonischen Wunsches". Die...
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Ludwig Feuerbachs „Theogonie nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums" erschien 1857 in Leipzig. Das Werk war die Frucht sechsjähriger Studien, die unmittelbar im Anschluß an die Drucklegung der im Revolutionsjahr 1848/49 in Heidelberg gehaltenen ,, Vorlesungen über das Wesen der Religion" aufgenommen wurden. In Gemeinschaft mit der Studie „Zur Theo-gonie, oder Beweise, daß der Götter Ursprung, Wesen und Schicksal der Menschen Wünsche und Bedürfnisse sind. Nach den lateinischen Schriftstellern" (1866; enthalten in Band 11 unserer Neuausgabe) bildet diese Schrift ihrer theoretischen Aussage nach die letzte Vollendung von Feuerbachs philosophisch-anthropologischer Theorie vom Wesen der Religion. Feuerbachs erkenntnistheoretisch-psychologische Religionsanalyse gelangt hier, unter philologisch meisterhafter Benutzung der literarischen Bezeugungen des klassischen Altertums zum Beweise seines Standpunktes, zur Theorie des , ,theogonischen Wunsches". Die in früheren Werken erarbeiteten Prinzipien der Religionserklärung (Einbildungskraft, Abhängigkeitsgefühl, Selbsterhaltungsund Glückseligkeitstrieb als Quellen religiöser Vorstellungen) werden folgerichtig zu der radikalsten Aussage Feuerbachs über das Wesen der Religion fortentwickelt. Die Vorstellungswelt der Religion wird als phantastische gedankliche Schöpfung bloßen menschlichen Wunschdenkens verstanden, das aus schmerzlich empfundener menschlicher Ohnmacht und
Bedürftigkeit im irdischen Dasein des Menschen entspringt. Die Gottheit sei stets wesentlich ein ,,Gegenstand des Verlangens, des Wunsches", und sie sei nur deshalb ,,ein Vorgestelltes, Gedachtes, Geglaubtes", weil sie ,,ein Verlangtes, Ersehntes, Erwünschtes" ist: ,,Der Wunsch ist der Ursprung der Götter, der Wunsch der Ursprung, das Grundwissen, das Prinzip der Religion". Damit wird die Religion gleich welcher Erscheinungsform ihrem Ursprünge nach als illusionärer Akt der Wunscherfüllung begriffen und ihr ein ausschließlich subj ektiv-menschlicher Ursprung zuerkannt. Freilich leitet Feuerbach den ,,theogonischen Prozeß" einseitig aus subjektiven Situationen im menschlichen Individuum ab, ausgehend von einem historisch und sozial undifferenzierten Menschen- und Gesellschaftsbild, wodurch die Analyse und die Schlußfolgerungen der ,,Theogonie" nur einen begrenzten Wahrheitswert erlangen. Nichtsdestoweniger erweist sich an der ,,Theogo-nie" — die unter den Zeitgenossen Feuerbachs kaum Beachtung fand und mehr nur als Variation eines bereits im ,,Wesen des Christentums" (von 1841) angeschlagenen Themas zur Kenntnis genommen wurde —, daß Feuerbach, freilich am denkerischen Ansatz von Marx und Engels zu einer wissen-sch aftlich en, historisch-soziologischen und philosophischen Religionsbetrachtung vorübergehend, ohne jedes Zugeständnis an die Zeitströmungen den Idealen des deutschen Vormärz im Sinne eines aufklärerischen, demokratischen Humanismus treu blieb.
Vissza