Fülszöveg
Der perspektivische und interpretatorische Charakter des menschlichen Welt-, Fremd- und Selbstverständnisses steht im Zentrum der Überlegungen dieses Buches. Die Rede von Interpretationswelten bezeichnet ein Terrain und eine einheitliche Thematik, die jenseits der tiefsitzenden Zweiteilung von Absolutheit sowie Essen-tialismus auf der einen und Relativismus auf der anderen Seite liegen. Diese Dichotomie hat das philosophische Denken bis heute gebannt und gefangengehalten. Der Versuch, jenseits dieser Entgegensetzung Fuß zu fassen, beschreibt die Situation und Aufgabe der Philosophie der Gegenwart. Die Interpretationsphilosophie versteht sich als ein Beitrag dazu.
Die Argumentation wird in fünf Teilen entfaltet. Teil I rekonstruiert den interpretatorisch-konstruktbilden-den Charakter der Prozesse der Identifikation und ReIdentifikation von Objekten und Ereignissen sowie der Zuschreibung von Zuständen in bezug auf Personen. Teil II reformuliert die Idee der Verifikation und...
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Fülszöveg
Der perspektivische und interpretatorische Charakter des menschlichen Welt-, Fremd- und Selbstverständnisses steht im Zentrum der Überlegungen dieses Buches. Die Rede von Interpretationswelten bezeichnet ein Terrain und eine einheitliche Thematik, die jenseits der tiefsitzenden Zweiteilung von Absolutheit sowie Essen-tialismus auf der einen und Relativismus auf der anderen Seite liegen. Diese Dichotomie hat das philosophische Denken bis heute gebannt und gefangengehalten. Der Versuch, jenseits dieser Entgegensetzung Fuß zu fassen, beschreibt die Situation und Aufgabe der Philosophie der Gegenwart. Die Interpretationsphilosophie versteht sich als ein Beitrag dazu.
Die Argumentation wird in fünf Teilen entfaltet. Teil I rekonstruiert den interpretatorisch-konstruktbilden-den Charakter der Prozesse der Identifikation und ReIdentifikation von Objekten und Ereignissen sowie der Zuschreibung von Zuständen in bezug auf Personen. Teil II reformuliert die Idee der Verifikation und Objektivität als Interpretationskonstrukt. In Teil III werden die Referenz unserer sprachlichen sowie gedanklichen Ausdrücke und die kausale Beziehung zwischen Sprache und Welt im Rahmen der Funktionen unserer Interpretations-Praxis konzipiert. Teil IV behandelt die Fragen nach Kohärenz und Struktur des menschlichen Verste-hens unter interpretationistischen Gesichtspunkten. Teil V entwickelt die Position des epistemologischen Interpretationismus im Hinblick auf Fragen nach Realitätsgehalt und grundbegrifflicher Relativität. Im Anschluß an die zentrale Rolle, die unsere Interpretations-Praxis in all diesen Fragestellungen spielt, bilden Überlegungen zu einer Ethik der Interpretation den Abschluß des Buches.
In der Reihenfolge der Teile erfolgt zugleich eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Auffassungen vor allem der Deskriptiven Metaphysik Strawsons, dem Verifikationismus in seiner logisch-empiristischen Version bei Carnap und in seiner analytischen Variante bei Stroud, der Kausaltheorie der Referenz von Putnam und Kripke, der Kohärenz- und Bedeutungstheorie Davidsons, dem metaphysischen Realismus und dem internen Realismus Putnams sowie dem postanalytischen Pragmatismus Rortys.
Methodisch wird so vorgegangen, daß diese Positionen zunächst dem philosophischen Skeptizismus ausgesetzt werden. Doch führt dies nicht in einen terminalen Skeptizismus. Vielmehr erschließt sich dem philosophischen Gedanken im Vollzug seines skeptischen Fragens eine neue Dimension. Sie besteht in der Einsicht in den nicht hintergehbaren interpretatorischen Charakter der skizzierten Bereiche. Dieser wird dann, und das ist der jeweils entscheidende Schritt, im Sinne einer Kritik der Interpretationsverhältnisse erläutert. Dabei zeigt sich, daß das Grundwort »Interpretation« dazu beitragen könnte, die auch heute noch weitgehend verbindungslosen Anstrengungen der anglo-amerikani-schen analytischen und der kontinentalen Philosophie themenbezogen in ein Gespräch zu bringen. Der Rekurs auf die Interpretationsverhältnisse vermag Mittel und Wege bereitzustellen, einige der in beiden Lagern gleichermaßen virulenten Problemlagen zu reformulieren und einer Auflösung näherzubringen. Die Rede von Interpretationswelten ist nicht auf ontologische Fragestellungen eingeschränkt und wird nicht im Sinne von Fragen nach dem »Sein« verstanden. Es geht vielmehr um eine interpretationistische Behandlung von Themen sprachphilosophischer, symboltheoretischer, epistemologischer, logischer, hermeneuti-scher, wissenschaftsphilosophischer, ästhetischer und moralphilosophischer Art. Und es geht nicht um Seins-, sondern um Interpretationswelten. Wir leben in Interpretationswelten, deren Logik, Ästhetik und Ethik zu klären ist.
Günter Abel, geb. 1947, ist seit 1987 Professor für Philosophie an der Technischen Universität Berlin. Buchveröffentlichungen u.a.: Stoizismus und Frühe Neuzeit; Nietzsche. Zahlreiche Aufsätze zu Fragen der Interpretationsphilosophie, der Metaphysikkritik, der Symboltheorie, der Sprachphilosophie und der Epistemologie.
Vissza