Fülszöveg
Bohumlr Mráz
INGRES ZEICHNUNGEN
Jean Auguste Dominique Ingres (1780—1867) war ein Zeichner par excellence - in Wesensveranlagung wie in seinen das ganze Leben andauernden Bestrebungen. Als überzeugter Klassizist, Raffael-Verehrer und Bekenner idealer Schönheit und Vollendung in der Kunst, aber zugleich auch empfindsamer Beobachter der Realität, erhob er die Zeichnung zu einem erstrangigen Mittel der künstlerischen Erfassung der Welt. Die Zeichnung war die Grundmethode seiner malerischen Ausdrucksweise und beherrschte sein künstlerisches Denken dermaßen, daß sie für ihn unmittelbar ethische Geltung gewann: im Gespräch mit Eugene Delacroix bezeichnete er sie einmal als die „Ehrlichkeit der Kunst".
Ingres gehörte einer Künstlergeneration an, die in dem weiten Bereich zwischen Klassizismus und Romantik sich bewegte. Mit seinem Lehrer David teilte er die Bewunderung für die Antike und dessen Streben nach rationaler Ordnung und Harmonie, die Vorbilder seiner idealen Formen suchte er...
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Bohumlr Mráz
INGRES ZEICHNUNGEN
Jean Auguste Dominique Ingres (1780—1867) war ein Zeichner par excellence - in Wesensveranlagung wie in seinen das ganze Leben andauernden Bestrebungen. Als überzeugter Klassizist, Raffael-Verehrer und Bekenner idealer Schönheit und Vollendung in der Kunst, aber zugleich auch empfindsamer Beobachter der Realität, erhob er die Zeichnung zu einem erstrangigen Mittel der künstlerischen Erfassung der Welt. Die Zeichnung war die Grundmethode seiner malerischen Ausdrucksweise und beherrschte sein künstlerisches Denken dermaßen, daß sie für ihn unmittelbar ethische Geltung gewann: im Gespräch mit Eugene Delacroix bezeichnete er sie einmal als die „Ehrlichkeit der Kunst".
Ingres gehörte einer Künstlergeneration an, die in dem weiten Bereich zwischen Klassizismus und Romantik sich bewegte. Mit seinem Lehrer David teilte er die Bewunderung für die Antike und dessen Streben nach rationaler Ordnung und Harmonie, die Vorbilder seiner idealen Formen suchte er jedoch - im Einklang mit dem neuen Empfinden - in der Natur. In seiner zeichnerischen Hinterlassenschaft befinden sich Tausende von Vorstudien zu Figuralkompositionen, die thematisch vor allem aus der griechischen Mythologie und in der späteren Zeit aus der französischen Geschichte schöpften. Diese Zeichnungen, in denen Ingres mit der ihm eigenen feinen, graziösen Linienführung immer wieder die beste Haltung und Geste erprobte, Antlitz, Hände, Beine, sowie den Faltenwurf erforschte, überraschen nicht nur durch technische Virtuosität, sondern durch Natürlichkeit und Lauterkeit des Gefühls.
Ein einzigartiges Beispiel zeichnerischen Könnens stellen jedoch die als unabhängige und eigenständige Werke aufgefaßten Bildnisse des Künstlers dar, meist mit Bleistift ausgeführte Umrißzeichnungen, die mit einfachsten Mitteln eine maximale Wirkung erreichen und in denen es Ingres als wahrer Meister verstand, mit einigen wenigen sicheren Linien die Form aufzubauen und ihr einen Platz im Raum zuzuweisen. Jedes dieser Meisterwerke, die sich durch präzises, manchmal liebevolles, ein andermal geradezu erbarmungslos scharfes Wahrnehmungsvermögen auszeichnen, erfaßt neben äußerlichen Gesichtszügen auch das innere Persönlichkeitsbild des Dargestellten. In dieser Weise hat uns Ingres die Züge seiner Familienangehörigen, Freunde und Bekannten erhalten - zu denen auch zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten, wie Cherubini, Paganini, Gounod oder Liszt zählen - und in charakteristischen Beispielen die damalige französische Gesellschaft dargestellt.
Als die eigentlichen Erben seines künstlerischen Vermächtnisses sehen wir heute die Repräsentanten unverfälschter lebendiger Kunst wie Degas, Renoir, Cézanne, Matisse, Picasso, Léger.
Vissza