Fülszöveg
Jelena Bonners Buch ist schon von
seiner Entstehung her ungewöhn-
lich: Während ihres sechsmonati-
gen Aufenthalts in den Vereinigten
Staaten schreibt sie ihre Erinnerun-
gen nieder im Wettlauf mit der Zeit.
In diesen sechs Monaten unterzieht
sie sich mehreren Operationen,
besucht ihre Familie, die sie jahre-
lang nicht gesehen hatte, reist kreuz
und quer durch Amerika. Und wo
immer sie auch ist, immer steht für
sie das eine im Vordergrund: der
Kampf um die Menschenrechte in
der Sowjetunion und insbesondere
der Kampf um die Freiheit, die
Rettung Sacharows. Die Courage,
mit der sie für ihr Anliegen kämpft,
hat sie auch in der Sowjetunion
bewiesen — zahlreiche Details in
ihrem Buch belegen dies, nicht zu-
letzt die makabre Geschichte des
Prozesses, der ihr wegen »Ver-
leumdung« gemacht wurde.
Was Jelena Bonner durchzustehen
hatte, resümiert sie selbst folgen-
dermaßen: »Abgereist bin ich am
2. Dezember 1985, den Antrag,
zwecks medizinischer Behandlung...
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Fülszöveg
Jelena Bonners Buch ist schon von
seiner Entstehung her ungewöhn-
lich: Während ihres sechsmonati-
gen Aufenthalts in den Vereinigten
Staaten schreibt sie ihre Erinnerun-
gen nieder im Wettlauf mit der Zeit.
In diesen sechs Monaten unterzieht
sie sich mehreren Operationen,
besucht ihre Familie, die sie jahre-
lang nicht gesehen hatte, reist kreuz
und quer durch Amerika. Und wo
immer sie auch ist, immer steht für
sie das eine im Vordergrund: der
Kampf um die Menschenrechte in
der Sowjetunion und insbesondere
der Kampf um die Freiheit, die
Rettung Sacharows. Die Courage,
mit der sie für ihr Anliegen kämpft,
hat sie auch in der Sowjetunion
bewiesen — zahlreiche Details in
ihrem Buch belegen dies, nicht zu-
letzt die makabre Geschichte des
Prozesses, der ihr wegen »Ver-
leumdung« gemacht wurde.
Was Jelena Bonner durchzustehen
hatte, resümiert sie selbst folgen-
dermaßen: »Abgereist bin ich am
2. Dezember 1985, den Antrag,
zwecks medizinischer Behandlung
ins Ausland reisen zu dürfen, habe
ich dagegen am 25. September 1982
eingereicht. Im Verlauf von drei
Jahren kann man auch sterben. Bis
ich das Visum erhielt, waren zu
meinem Augenleiden noch andere
Beschwerden hinzugekommen,
hatten die Behörden mich zu einer
Kriminellen gestempelt, war mein
Mann dazu gezwungen gewesen,
zweimal in den Hungerstreik zu
treten, hatte er insgesamt 197 Tage
gehungert und die Folter der
Zwangsernährung und neun
Monate Haft in einem Kranken-
haus durchgemacht.«
Jelena Bonners Erinnerungen
liefern nicht nur die Chronik der
Ereignisse während der Jahre der
Verbannung in Gorki, sondern dar-
über hinaus viele Fakten, die bis-
lang nur ihr und Sacharow bekannt
waren — und dem KGB. Bei der
Aufklärung der »ganzen Wahrheit«
geht es ihr darum, nachzuweisen,
wie Teil Wahrheiten, durch einen
falschen Kontext entstellt, zu Lügen
werden, die man im Westen oft
nicht durchschaut. Bei allem auf-
klärerischen und polemischen
Charakter, den das Buch hat, ist es
im wesentlichen ein Stück Privat-
leben, das hier preisgegeben wird.
Die zentrale Figur ist der Mensch,
nicht die öffentliche Person Sa-
charow, und es entsteht nicht nur
ein neues Bild der in der Sowjet-
union wohl bestgehaßten Frau,
sondern auch das einer Ehe, in der
der eine dem anderen bedingungs-
los vertraut.
Jelena Bonner, 1923 geboren,
ist seit 1971 mit Andrej Sacharow
verheiratet und lebte mit ihm von
1984 bis 1986 in der Verbannung.
Vissza