Balaton

Fülszöveg

Der Balaton fällt in die Richtung
unseres Herzens.
Wie soll man das verstehen?
Wenn wir die Landkarte Ungarns
vor uns ausbreiten, liegt der Bala-
ton in einer Linie mit unserer Herz-
gegend. Das ist zwar auf der Erd-
kugel die rechte Seite, im „Spie-
gel" des Betrachters jedoch wech-
selt sie nach links. Die Lage des
Balaton ist also im geographischen
Sinn anders als im „persönlichen".
Übrigens nennt man, mit einer et-
was sentimentalen Metapher, die
Haupstadt je eines Landes sein
„Herz". In Ungarn könnte man,
wenn man in vergangene Jahr-
hunderte zurückblickt, dieses bild-
liche Organ als eine Art „Wander-
herz" bezeichnen: vor Budapest
waren Székesfehérvár, Preßburg
(Bratislava), ja sogar Wien über
kürzere oder längere Zeit die
Hauptstadt des Landes. In Székes-
fehérvár war der Sitz der Könige,
und hier wurden sie auch be-
graben, in Preßburg fanden die
Sitzungen des Landtags statt, und
aus Wien blickten die Habsburger
auf das Donau-Theiß-Gebiet her-... Tovább

Fülszöveg

Der Balaton fällt in die Richtung
unseres Herzens.
Wie soll man das verstehen?
Wenn wir die Landkarte Ungarns
vor uns ausbreiten, liegt der Bala-
ton in einer Linie mit unserer Herz-
gegend. Das ist zwar auf der Erd-
kugel die rechte Seite, im „Spie-
gel" des Betrachters jedoch wech-
selt sie nach links. Die Lage des
Balaton ist also im geographischen
Sinn anders als im „persönlichen".
Übrigens nennt man, mit einer et-
was sentimentalen Metapher, die
Haupstadt je eines Landes sein
„Herz". In Ungarn könnte man,
wenn man in vergangene Jahr-
hunderte zurückblickt, dieses bild-
liche Organ als eine Art „Wander-
herz" bezeichnen: vor Budapest
waren Székesfehérvár, Preßburg
(Bratislava), ja sogar Wien über
kürzere oder längere Zeit die
Hauptstadt des Landes. In Székes-
fehérvár war der Sitz der Könige,
und hier wurden sie auch be-
graben, in Preßburg fanden die
Sitzungen des Landtags statt, und
aus Wien blickten die Habsburger
auf das Donau-Theiß-Gebiet her-
ab. Man darf nicht vergessen, daß
sich auch die Größe des Landes
oft änderte: in uralten Zeiten um-
spülten drei Meere seine Grenzen,
dann folgten großes Mißgeschick
und viele Zwistigkeiten, es schloß
unglückliche Friedensabkommen,
wodurch von seinem Körper oft
ein gesundes Stück amputiert wur-
de, ganze Fürstentümer wurden
herausgerissen, es wurde zerstük-
kelt, zusammengeheftet, hier und
dort angeklebt. Est ist gut, wenn
diejenigen, die von Ungarn nur die
Hortobágy, den Gulasch und die
Matyó-Puppen kennen, auch das
wissen. Schon viele haben gesagt,
es sei ein genetisches Wunder der
Geschichte, daß das ungarische
Volk mit seiner gefahrvollen Ver-
gangenheit voller Katastrophen,
sich mit anderen Völkern wahllos
vermischend und eine urasiatische
Sprache sprechend, in Europa fort-
bestehen konnte Doch der Bala-
ton hatte in diesem territorial klei-
ner werdenden Land schon immer
ein regionales Gewicht. Wenn der
Fremde Ungarn, Ungheria oder
Hungary auf dem Globus finden
will, muß er mit dem Finger in
Richtung des blauen Flecks den
Balaton suchen. Es gibt kaum
einen auffälligeren Orientierungs-
punkt, denn der Balaton ist einer
der größten Süßwasserseen un-
seres Erdteils. Obwohl er sich nicht
im geographischen Zentrum befin-
det, muß man sich um ihn herum
das Donauland mit seiner weitaus
größeren Ausdehnung nach Osten
vorstellen. Und wenn man später
die Landkarte vor sich ausbreitet,
stimmt der vorangehende Ver-
gleich: der See liegt der Herz-
gegend gegenüber. Vissza