Fülszöveg
Auf den ersten Blick könnten diese »Spiele« als komödiantischer Spafi erscheinen, dem ein geringeres spezifisches Gewicht zuzubilligen ist als Dürrenmatts Theaterstücken. Bei náherem Hinsehen jedoch wird man (auch ohne Berufung auf eine Áufierung des Verfassers, er nehme das Hörspiel ebenso ernst wie das Drama) unschwer feststellen, dafi es sich um eine gleichberechtigte und gleichwertige Form der literarischen Aussage handelt, die Dürrenmatts künstlerischen Intentionen in hohem Mafie entgegenkommt. Dürrenmatt versteht sich wie wenige darauf, die Sprache zum Tráger seines Wollens zu machen. Er schiefit seine Sátze ab wie Pfeile, die im Fleisch auch eines trágen Zuschauers steckenbleiben und ihn zur Reaktion reizen. Diese Wirkung verstárkt sich in der Intimitát der durch keinerlei visuelle Eindrücke gestörten, rein akustischen Verbindung mit dem einzelnen Hörer. Und im Grundé wendet sich Dürrenmatt immer als einzelner an den einzelnen. Es ist die einzige Art der literarischen...
Tovább
Fülszöveg
Auf den ersten Blick könnten diese »Spiele« als komödiantischer Spafi erscheinen, dem ein geringeres spezifisches Gewicht zuzubilligen ist als Dürrenmatts Theaterstücken. Bei náherem Hinsehen jedoch wird man (auch ohne Berufung auf eine Áufierung des Verfassers, er nehme das Hörspiel ebenso ernst wie das Drama) unschwer feststellen, dafi es sich um eine gleichberechtigte und gleichwertige Form der literarischen Aussage handelt, die Dürrenmatts künstlerischen Intentionen in hohem Mafie entgegenkommt. Dürrenmatt versteht sich wie wenige darauf, die Sprache zum Tráger seines Wollens zu machen. Er schiefit seine Sátze ab wie Pfeile, die im Fleisch auch eines trágen Zuschauers steckenbleiben und ihn zur Reaktion reizen. Diese Wirkung verstárkt sich in der Intimitát der durch keinerlei visuelle Eindrücke gestörten, rein akustischen Verbindung mit dem einzelnen Hörer. Und im Grundé wendet sich Dürrenmatt immer als einzelner an den einzelnen. Es ist die einzige Art der literarischen Beeinflussung, die ihm bei seiner weltanschaulichen Haltung möglich scheint. Dürrenmatt glaubt im Gegensatz zu seinem grófién Widerpart Brecht weder an die objektive Gesetzmáfiigkeit der geschichtlichen Entwicklung noch an die Veránderbarkeit auch von ihm als sinnlos und schádlich erkannter gesellschaftlicher Zustánde durch kollektive menschliche Bemühung. Aber seine Menschlichkeit und Menschenliebe und der Glaube an die menschliche Güte in anderen erlauben ihm keine völlige Resignation. In seiner Dankrede für die Verleihung des grófién Schillerpreises der Schweizerischen Schillerstiftung sagte er: »Wer verzweifelt, verliert den Kopf; wer Komödien schreibt, braucht ihn.« Das Wort »brauchen« erscheint hier in doppelter Funktion: im Sinn von »nötig haben«, nicht verlieren dürfen und, in übertragener Bedeutung, im Sinn von »gebrauchen«, anwenden.
Wozu Dürrenmatt seinen Kopf gebrauchen will, sagt er ebenfalls in dieser Rede. Mit deutlichem Hinweis auf das feierliche Pathos der Nazis erklárt er den Humor in unserer Zeit als die Sprache der geistigen Freiheit - »denn diese Sprache setzt eine Überlegenheit voraus auch da, wo der Mensch, der sie spricht, unterlegen ist«. »Unterlegen« ist auch Dürrenmatt insofern, als er sich aus der von ihm in ihrer Unzulánglichkeit und Hoífnungslosigkeit erkannten bürgerlichen Welt nicht zu lösen vermag. Diese scheinbar unüberwindliche Kluft zwischen humanem Ethos und resignierender Vernunft überwindet er durch den heroischen Sprung in das Komödiantische. Nur noch in der Sprache des Humors scheint ihm der Appell an das Gewissen des Menschen möglich: Appell eines einzelnen an den einzelnen, an den »tapferen Menschen«, der in seinen Augen alléin noch »die Welt zu bestehen« vermag. Auch wenn das komödiantische Spiel zuweilen in eine turbulente Farce umschlágt, in einen riesigen Spafi, der die pedantische Ausdeutung jeder Einzelheit verbietet, oder, wie in »Abendstunde im Spátherbst«, in eine groteske Parodie, die eben durch ihre Monstrositát den ergánzenden Widerspruch durch den Hörer herausfordert - Anfang und Ziel bleibt Dürrenmatt immer die Besinnung auf die Pflicht des »tapferen einzelnen«, der König Augias im Gleichnis von seinem heimlichen Garten poetischen Ausdruck gibt: »Es ist eine schwere Zeit, in der man nur so wenig für die Welt zu tun vermag, aber dieses Wenige sollen wir wenigstens tun: das Eigene . . . wenig gab ich dir, ich weifi, doch sei nun wie er: verwandelte Ungestalt. Trage du nun Früchte, ersetze mit dir selbst das Verlorene, wage jetzt zu leben und hier zu leben, mitten in diesem gestaltlosen wüsten Land: Die Heldentat, die ich dir nun auferlege, Sohn, die Herkulesarbeit, die ich auf deine Schultern
Vissza