Fülszöveg
FLÖTENSPIELER UND PHANTOME Eine Reise durch das Tauwetter Nach dem Scheitern der ungarischen Erhebung 1956 muíke der junge Theaterkritiker, Dramaturg und Schriftsteller György Sebestyén, der zu den Gründern des revolutionáren Petöfi-Kreises gehörte, sein Land verlassen. Fast ein Jahrzehnt nach seiner Emigration unternahm Sebestyén, der seither in Wien lebt, eine Reise in seine engere und weitere Heimat. Daft ihm dies überhaupt möglich war, ist ein Symptom für jene erstaunlichen Wandlungen in den Lándern zwischen Bayern und dem Schwarzen Meer, die Sebestyén in seinem neuen Buch beschreibt. Der Autor dieses intelligenten, souveránen und originellen Reiseberichts ist kein Aufienstehender. Obwohl er inzwischen mit seinen Románén Die Tiiren schlieflen sich, Der Mann im Sattel und Die Schule der Verführung ein anerkannter Schriftsteller deutscher Sprache geworden ist, blieb er ein engagierter Beobachter des Kampfes zwischen den Stalinisten und den Anhangern einer modernen...
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FLÖTENSPIELER UND PHANTOME Eine Reise durch das Tauwetter Nach dem Scheitern der ungarischen Erhebung 1956 muíke der junge Theaterkritiker, Dramaturg und Schriftsteller György Sebestyén, der zu den Gründern des revolutionáren Petöfi-Kreises gehörte, sein Land verlassen. Fast ein Jahrzehnt nach seiner Emigration unternahm Sebestyén, der seither in Wien lebt, eine Reise in seine engere und weitere Heimat. Daft ihm dies überhaupt möglich war, ist ein Symptom für jene erstaunlichen Wandlungen in den Lándern zwischen Bayern und dem Schwarzen Meer, die Sebestyén in seinem neuen Buch beschreibt. Der Autor dieses intelligenten, souveránen und originellen Reiseberichts ist kein Aufienstehender. Obwohl er inzwischen mit seinen Románén Die Tiiren schlieflen sich, Der Mann im Sattel und Die Schule der Verführung ein anerkannter Schriftsteller deutscher Sprache geworden ist, blieb er ein engagierter Beobachter des Kampfes zwischen den Stalinisten und den Anhangern einer modernen Gesellschaftsordnung. In dicsem Kampf »lehnt sich die Wirklichkeit gegen die Abstraktion auf«, gegen die Phantome einer veralteten, belasteten und unglaubwürdig gewordenen Ideologie. In seinen zahlreichen Begegnungen mit Künstlern und Literaten wurde dem sensiblen Romancier klar, dafi für die Völker Ostund Südosteuropas das künstlerische Schaffen kein Luxus ist, sondern »eine Sache des nationalen Überlebens schlechthin«. Auf seiner Reise durch die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumánien, Bulgarien, Jugoslawien und Albanien überzeugte sich Sebestyén davon, dafi auch der Kommunismus sich dem geschichtlich gepragten Wesen dieser Lánder nicht zu entziehen vermag. Traditionen des altén Byzanz, der
griechisch-orthodoxen Kirche sowie der österreichisch-ungarischen Monarchie setzen sich - nicht ohne paradoxé Züge - auch unter kommunistischen Regierungen fort. Der Autor sympathisiert mit diesen Tendenzen und wagt zu hoffen, dafí aus ihnen einmal politische Formen erwachsen, die für den gesamten Osten vorbildlich werden könnten. Sebestyén bietet keine abstrakten Analysen, sondern einen authentischen Reisebericht, nicht ohne anekdotischen Reiz, frei von den Verzerrungen des »Kalten Krieges«, mit einem Spürsinn für die seltsamen Evolutionen der nachstalinistischen Ara. Wenn er von seinen Begegnungen mit dem Meister der Puppenfilme, dem Tschechen Jan Trnka, mit dem ungarischen Schriftsteller László Németh, mit dem rumánischen Maler Ion Mirea, mit dem bulgarischen Dramatiker Waleij Petrow, mit dem kroatischen Romancier Miroslav Krleza oder mit dem albanischen Lyriker Andrea Varfi berichtet, um einige wenige Beispiele zu nennen, dann ist das stets so lebendig, wie man nur über seinesgleichen schreiben kann. Doch gelingt es Sebestyén, dabei auch die für den Chronisten notwendige Distanz zu wahren: Die subjektive Leidenschaft trübt nie die beobachtende Objektivitát. Sebestyéns eigenwillige Entdeckungsreise in ein Gebiet, das mehr als dreimal so grófi ist wie die Bundesrepublik, seine Fahrt durch die Tschechoslowakei, durch Ungarn und die Lander des Balkans, aus denen seit Jahren die Nachrichten nur spárlich zu uns gelangen, könnte für deutsche Leser, für die Menschen des Westens eine fruchtbare Anregung sein, alte und festgefahrene Urteile zu überprüfen.
Vissza