Fülszöveg
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
FAUST I / II Schon in seiner Jugend lernte Goethe durch ein Volksbuch, durch Puppenspiele und Komödiantenaufführungen des Faust-Volksstückes den uralten, dichterisch schon oft dargestellten Stoff kennen. Man hat einmal gesagt, daß Faust die symbolischste Gestalt des gesamten Abendlandes sei, und man kann ergänzen, daß sie durch Goethe ihren höchsten künstlerischen Ausdruck gefunden hat.
1749 ist Goethe geboren, mitten im bürgerlichen Aufklärungszeitalter, und schon den kleinen Jungen packt die Geschichte von dem ewiggrübelnden, immer fragenden, alles wissenwollenden Beschwörer, gelehrten Doktor, Zauberer, Gottesleugner und Teufelsbündler Faust. Sechzig Jahre seines Lebens arbeitet Goethe am „Faust". Schon als er 1775 an den Hof zu Weimar kam, brachte er die erste Fassung, den sogenannten „Urfaust", mit. Von nun ab ließ ihn dieses Werk nicht mehr aus seinem Bann. Es formen sich Stücke, Teile; aber sie bleiben noch als Fragment liegen, selbst als er auch...
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Fülszöveg
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
FAUST I / II Schon in seiner Jugend lernte Goethe durch ein Volksbuch, durch Puppenspiele und Komödiantenaufführungen des Faust-Volksstückes den uralten, dichterisch schon oft dargestellten Stoff kennen. Man hat einmal gesagt, daß Faust die symbolischste Gestalt des gesamten Abendlandes sei, und man kann ergänzen, daß sie durch Goethe ihren höchsten künstlerischen Ausdruck gefunden hat.
1749 ist Goethe geboren, mitten im bürgerlichen Aufklärungszeitalter, und schon den kleinen Jungen packt die Geschichte von dem ewiggrübelnden, immer fragenden, alles wissenwollenden Beschwörer, gelehrten Doktor, Zauberer, Gottesleugner und Teufelsbündler Faust. Sechzig Jahre seines Lebens arbeitet Goethe am „Faust". Schon als er 1775 an den Hof zu Weimar kam, brachte er die erste Fassung, den sogenannten „Urfaust", mit. Von nun ab ließ ihn dieses Werk nicht mehr aus seinem Bann. Es formen sich Stücke, Teile; aber sie bleiben noch als Fragment liegen, selbst als er auch nach oft langen Zeitabständen und nur auf Wunsch seiner Freunde, besonders Schillers, an dem Werke weiterarbeitete. Selbst noch wenige Wochen vor seinem Tode 1832 ist er mit der Ausarbeitung einiger Szenen beschäftigt.
Das Thema des zwischen Gott und Teufel gestellten, ewig strebenden Menschen weitet sich zu einer sinnbildlichen Darstellung des gesamten Weltgetriebes, der Natur- und
Geistesgeschichte. In Goethes zweiter Lebenshälfte, besonders in der fortschreitenden Arbeit am „Wilhelm Meister" und dann am „Faust", tritt an Stelle der früher geforderten und durchgeführten allseitigen Ausbildung der eigenen Persönlichkeit der Gedanke, daß der Mensch Teil der Gemeinschaft sei und sich als solcher zu beschränken habe, wobei auch die freiwillige Selbstbeschränkung zum Glük-ke des Menschen unentbehrlich sei. Goethe hat in diese den Kosmos umspannende Dichtung soviel allgemein-menschliche Weisheiten und Erkenntnisse hineingelegt, daß ihr Reichtum an Formschönheit und Ideengehalt immer wieder neu erschlossen werden muß. In der Reihe von Fausts Erlebnissen folgt Goethe dem Gange seines eigenen Lebens, sofern es eine typische Widerspiegelung des allgemeinen Menschenlebens ist. Durch diese gewaltige Dichtung hat er die deutsche Sprache befähigt, durchgeistigte Schönheit und vertiefte Weisheit bedeutsam auszusprechen; die Lebensfülle und Leidenschaften sind trotzdem nicht verbannt, sondern nur sittlich beherrscht. Wenn Goethe 1797 gegenüber Schiller erklärte, er schrecke vor dem Unternehmen, eine Tragödie zu schreiben, zurück, und sei beinahe überzeugt, daß er sich durch den bloßen Versuch zerstören könne: in „Faust" hat er diese Tragödie geschrieben, die größte, die je ein Dichter verfaßt hat, über den erhabensten Gegenstand, den es für die Menschen gibt: über den Menschen selbst.
Vissza