Fülszöveg
Drei aufwühlende Herbsttage in San Francisco, Ende September 1995: Die Machtelite der Welt, 500 führende Politiker, Konzernchefs und Wissen-schaftler, diskutiert hinter verschlossenen Türen das 21. Jahrhundert. Die Einschátzung der Weltenlenker ist verheerend: Nur mehr ein Fünftel aller Arbeitskráfte werde in Zukunft benötigt. Der überwáltigende Rest - 80 Prozent -müsse mit »tittytainment« bei Laune gehalten werden, einer Mischung aus Entertainment und Ernáhrung am Busen (»tits«) der wenigen Produktíven. Mit beángstigender Geschwindigkeit náhem sich die bisherigen Wohlstands-lánder dieser Schreckensvision: Alléin in Deutschland finden mehr als sechs Millionen Arbeitswillige keine feste Anstellung. Kein Job scheint mehr sicher, nach den Fabrikarbeitern bei VW, Philips oder Olivetti bangen in Európa jetzt Millionen Ingenieure, Bankangestellte, Telecombescháftigte und sogar Computer-spezialisten um ihre Arbeitsplátze. Allerorten ist die Klage zu hören: China, Indien und Europas...
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Fülszöveg
Drei aufwühlende Herbsttage in San Francisco, Ende September 1995: Die Machtelite der Welt, 500 führende Politiker, Konzernchefs und Wissen-schaftler, diskutiert hinter verschlossenen Türen das 21. Jahrhundert. Die Einschátzung der Weltenlenker ist verheerend: Nur mehr ein Fünftel aller Arbeitskráfte werde in Zukunft benötigt. Der überwáltigende Rest - 80 Prozent -müsse mit »tittytainment« bei Laune gehalten werden, einer Mischung aus Entertainment und Ernáhrung am Busen (»tits«) der wenigen Produktíven. Mit beángstigender Geschwindigkeit náhem sich die bisherigen Wohlstands-lánder dieser Schreckensvision: Alléin in Deutschland finden mehr als sechs Millionen Arbeitswillige keine feste Anstellung. Kein Job scheint mehr sicher, nach den Fabrikarbeitern bei VW, Philips oder Olivetti bangen in Európa jetzt Millionen Ingenieure, Bankangestellte, Telecombescháftigte und sogar Computer-spezialisten um ihre Arbeitsplátze. Allerorten ist die Klage zu hören: China, Indien und Europas Oststaaten seien mit ihren Billigstlöhnen die neuen Kon-kurrenten am Weltmarkt, man müsse sich an ihnen orientieren. Die Wucht der Globalisierung eint die Welt, doch gleichzeitig leitet sie ihren Zerfall ein. Wie Anarchisten des 21. Jahrhunderts setzen Manager milliardenschwerer Investmentfonds und Weltkonzerne die Nationalstaaten matt. Dabei treiben Politiker die Deregulierung immer schnel-ler voran und haltén sich dennoch - wie die Wirtschaftsführer - nur für Getriebene der brutalen Dynamik. Das Ergebnis sind immer neue Sparprogramme und Massen-
kündigungen. Lánder wie Brasilien steigen zum Weltmodell auf: Die Reichen ziehen sich in Ghettos zurück, der Groft-teil der Bevölkerung bangt um seine Existenz. Gleichzeitig ist es für viele Wohlstandsbürger so bequem geworden, auf den Weltuntergang zu warten. Das Tempó der Globalisierung überfordert alle. Verunsicherte Bürger suchen ihr Heil in Abgrenzung und Abspaltung. Vor dem eiskalten Effizienzwettlauf fliehen sie hin zur vermeintlichen Wárme moderner radikaler Verführer - von Scientology über Ross Perot bis Jörg Haider. Doch der Angriff auf Demokratie und Wohlstand ist keineswegs das Resultat eines unaufhalt-samen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Es gibt realistische Alterna-tiven, die Globalisierung mull nicht in die Sackgasse führen. Ein Leben in sozialem Frieden wáre weiterhin möglich.
Hans-Peter Martin, Dr. jur., Jg. 1957, geb. in Bregenz, Stipendiat in Kalifomien, Studium in Wien. Seit 1986 Spiegel-Redakteur, Korrespondent in Südamerika, derzeit in Wien und Prag. Bücher: Nachtschicht, Mitautor bei Gesunde Gescháfte, Kursbuch Gesundheit, Bittere Pillén (70., überarbeitete Auflage 1996).
Harald Schumann, Dipl.-Ing., Jg. 1957, geb. in Kassel. Studium in Marburg und Berlin. Von 1984 bis 1986 Redakteur bei der Berliner tageszeitung. Seit 1986 SpiEGEL-Redakteur, derzeit Büro Berlin. Buch: Futtermittel und Welthunger.
Die Autoren schreiben seit zehn Jahren gemeinsam Berichte und Titelgeschichten über die globale Vernetzung von Wirtschaft, Umwelt und Politik.
Vissza