Fülszöveg
Otto Nagels Berliner Bilder zeigen uns den Maler des Wedding,
den leidenschaftlich anklagenden Gestalter des Proletarier-
elends der zwanziger Jahre, von einer scheinbar ganz anderen,
beschaulichen Seite; äußerlich sagen sie kaum etwas aus über
die dramatischen Umstände ihrer Entstehung. 1934, als ihm
die Nazis verboten weiterhin im Atelier zu malen, richtete
sich Nagel sein »Freiluitatelier« ein: er arbeitete fortan auf der
Straße. Hatte er zuvor »seine« Menschen meist im Porträt oder
im Milieu der Arbeiterbezirke des Berliner Nordens dargestellt,
so malte er jetzt sein Berlin »so wie es ihm vertraut war, am
Werktag, im einfachen Tageslicht: neben den Fabrikmenschen
die andere Wirklichkeit seiner Heimat«. Mit Mal- und Zeichen-
utensilien ausgerüstet, durchstreifte er die Vorstadtgegenden,
malte er Kneipen und Gartenlokale, Mietskasernen und Hin-
terhöfe, charakteristische Straßenszenen und immer wieder die
Buddelkästen mit den spielenden Kindern, die in ihm die...
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Fülszöveg
Otto Nagels Berliner Bilder zeigen uns den Maler des Wedding,
den leidenschaftlich anklagenden Gestalter des Proletarier-
elends der zwanziger Jahre, von einer scheinbar ganz anderen,
beschaulichen Seite; äußerlich sagen sie kaum etwas aus über
die dramatischen Umstände ihrer Entstehung. 1934, als ihm
die Nazis verboten weiterhin im Atelier zu malen, richtete
sich Nagel sein »Freiluitatelier« ein: er arbeitete fortan auf der
Straße. Hatte er zuvor »seine« Menschen meist im Porträt oder
im Milieu der Arbeiterbezirke des Berliner Nordens dargestellt,
so malte er jetzt sein Berlin »so wie es ihm vertraut war, am
Werktag, im einfachen Tageslicht: neben den Fabrikmenschen
die andere Wirklichkeit seiner Heimat«. Mit Mal- und Zeichen-
utensilien ausgerüstet, durchstreifte er die Vorstadtgegenden,
malte er Kneipen und Gartenlokale, Mietskasernen und Hin-
terhöfe, charakteristische Straßenszenen und immer wieder die
Buddelkästen mit den spielenden Kindern, die in ihm die Hoff-
nung auf eine andere, bessere Welt wachhielten. Später, wäh-
rend des zweiten Weltkriegs, im Wettrennen gleichsam mit der
Vernichtung, malte er auch die Altstadt, die malerischen Straßen,
Gassen und Brücken an der Friedrichsgracht, die alten Häuser mit
den schönen Höfen, Hausfluren und Treppenhäusern. So man-
ches Gebäude, so manche Ecke, die er gerade im Bild festgehal-
ten hatte, war Tage, Stunden später nur noch ein Trümmer-
haufen. Angetrieben von den immer rascher aufeinanderfol-
genden Bombenangriffen wurde er zum »Chronisten des alten
Berlins«, der in seinen Bildern erhalten wollte, was ihm erhal-
tenswert schien: nicht das offizielle Berlin mit seinen Repräsen-
tationsbauten, sondern die Wohnstätten einfacher Menschen.
Es sind Dokumente von bleibendem Wert, die Otto Nagel mit
diesen Arbeiten geschaffen hat, und es sind zugleich künsde-
risch ungemein reizvolle Gebilde von einer feinsinnig nuancier-
ten Farbigkeit, die die besondere Atmosphäre dieser Stadt mit
dem fast ständig graublauen diesigen Himmel treffend wieder-
gibt. Es sind Bilder von Otto Nagel, »dem Freunde der Armen,
dem Sozialisten«. Hanns Eisler hat ihm später einmal darüber
geschrieben: »Daß Du die Pastelle unserer Stadt Berlin vor
ihrer Zerstörung gemalt hast, zeigt größtes künstlerisches und
politisches Bewußtsein. Und sie sind herrlich.«
Vissza