Fülszöveg
Acht Mitteleuropäer reisen In die Volksrepublik China, das China der »Vier Modernisierungen«, das im Jahr 2000 die westlichen Industrienationen eingeholt haben will. Um Samuel Rütter, den bekannten Schriftsteller, ist eine merkwürdige Reisegesellschaft zusammengekommen, jeder ein Experte in seiner Art. Hugo Stap-pung, Professor für Agrarwirtschaft, wurde zum Leiter der »Delegation« bestimmt. Bernhard Bosshard, der Erzähler, betreibt eine psychologische Praxis - oder sucht er ihr zu entkommen? Nur Frau Gaby Schlosser, die anstelle ihres verhinderten Mannes reist, ist ohne »Qualifikation«. »Freundschaftsgesellschaft«: der offizielle Name der chinesischen Organisation, die die Reisenden begleitet. Ob sie nicht nur auf die »Völkerfreundschaft« trinken, sondern wie Freunde handeln können, müssen sie eines Tages unter ungewöhnlichen Umständen beweisen. Denn in Shenyang, der letzten Station in der Mandschurei, stirbt ihr Delegationschef eines rätselhaften Todes. Hier könnte ein...
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Fülszöveg
Acht Mitteleuropäer reisen In die Volksrepublik China, das China der »Vier Modernisierungen«, das im Jahr 2000 die westlichen Industrienationen eingeholt haben will. Um Samuel Rütter, den bekannten Schriftsteller, ist eine merkwürdige Reisegesellschaft zusammengekommen, jeder ein Experte in seiner Art. Hugo Stap-pung, Professor für Agrarwirtschaft, wurde zum Leiter der »Delegation« bestimmt. Bernhard Bosshard, der Erzähler, betreibt eine psychologische Praxis - oder sucht er ihr zu entkommen? Nur Frau Gaby Schlosser, die anstelle ihres verhinderten Mannes reist, ist ohne »Qualifikation«. »Freundschaftsgesellschaft«: der offizielle Name der chinesischen Organisation, die die Reisenden begleitet. Ob sie nicht nur auf die »Völkerfreundschaft« trinken, sondern wie Freunde handeln können, müssen sie eines Tages unter ungewöhnlichen Umständen beweisen. Denn in Shenyang, der letzten Station in der Mandschurei, stirbt ihr Delegationschef eines rätselhaften Todes. Hier könnte ein Kriminalroman beginnen, die Frage nach Motiv und Gelegenheit.
Statt dessen geht die Reise weiter, als wäre nichts geschehen - und doch nicht ganz. Was geschieht, was geredet, getan oder unterlassen wird, hat jetzt Bedeutung - nicht nur, weil die Reisenden offensichtlich beobachtet werden. Sondern vor allem, weil sie gezwungen sind, sich selbst zu prüfen. Die Frage, warum einer gestorben ist, wird durchsichtig auf die wichtigere Frage: wie wir denn leben. Daß die Chinesen zuständig sein sollen für ein Beziehungsdelikt unter Europäern, ist auch ein Witz, eine juristischpolitische Pointe, die das Zeug hat, sich zur kulturellen Verwechslungskomödie auszuwachsen. Aber sie entbindet nicht
A
lNGZHOU
von der Nadiforsdiung, ob das Delik-tisdie nidit anderswo zu sudien wäre: in der Art, wie die Reisenden mit sidi selbst und miteinander umgehen. Das fremde Land, das andere System dispensiert sie nidit von dieser persönlidien Revision: in ihr stedtt der wahre Reiseberidit. Ein immer nodi armes Milliardenvolk und adit privilegierte Besucher: das Unverhältnismäßige dieser Zusammenstellung wird dem Leser auf jeder Seite bewußt. Es ist eine unersdiöpflidie Quelle der Neugier, Befremdung, Faszination und Sdiam. Und dodi stellt der Todesfall zwi-sdien unvergleichbaren Größen eine Beziehung her. Es geht um die Ablösung von Vater-Autoritäten in kleinen und sehr großen Gruppen, um die Deckung von Grundbedürfnissen und um die Organisation von Menschen zu einer menschenwürdigen Gesellschaft. Und es geht um die Opfer, die auf diesem Weg gebracht werden, unvermeidliche Opfer und unannehmbare. Es geht um den Neid zwischen Gesellschaften, und um die Eifersucht zwi-sdien Partnern. Es geht um die mögliche Schönheit des Zusammenlebens, und um die Sterblidikeit sozialer Errungenschaften.
»Baiyun« heißt »weiße Wolke«; in der Bildersprache von Ost und West steht sie ebenso für die Hinfälligkeit der Geschichte wie für die Verbindlichkeit des Augenblicks. Am Ende hat eine Detektivgeschichte auch in China nichts Spannenderes zu tun, als glaubhafte Gründe beizubringen, warum das Leben schutzwürdig bleibt gegen den fast ebenso berechtigten Verdacht, es lohne seine Mühe nicht.
Vissza