Fülszöveg
Einen Schriftstellern/^ gibt es ja,
vom Journalistentum abgesehen, bei
uns eigentlich erst seit dreißig, vierzig
Jahren oder nicht einmal so lange, und
so ist es erklärlich, daß seine gesell-
schaftliche Stellung noch schwankt.
Es kommt aber hinzu, daß die Litera-
tur in Deutschland vielleicht niemals
in dem Grade heimisch werden kann
wie etwa in Frankreich. Die deutsche
Kunst ist die Musik, und auch die bil-
denden Künste erfreuen sich bei uns
offizieller Achtung. Aber in Frank-
reich ist ohne Konkurrenz die Litera-
tur die Nationalkunst . Stellen Sie sich
in Frankreich als homme de lettres vor,
und jedermann ist orientiert, erfreut,
respektvoll. Aber „Schriftsteller"?
Alle Gesichter werden länger
Der literarische Geist, gleichviel, ob er
sich redend oder gestaltend äußere,
ist die vornehmste, die höchste Offen-
barung des Menschengeistes über-
haupt. Er ist es, der das Verständnis
für alles Menschliche weckt, der Sitti-
gung, Veredelung, Bildung...
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Fülszöveg
Einen Schriftstellern/^ gibt es ja,
vom Journalistentum abgesehen, bei
uns eigentlich erst seit dreißig, vierzig
Jahren oder nicht einmal so lange, und
so ist es erklärlich, daß seine gesell-
schaftliche Stellung noch schwankt.
Es kommt aber hinzu, daß die Litera-
tur in Deutschland vielleicht niemals
in dem Grade heimisch werden kann
wie etwa in Frankreich. Die deutsche
Kunst ist die Musik, und auch die bil-
denden Künste erfreuen sich bei uns
offizieller Achtung. Aber in Frank-
reich ist ohne Konkurrenz die Litera-
tur die Nationalkunst . Stellen Sie sich
in Frankreich als homme de lettres vor,
und jedermann ist orientiert, erfreut,
respektvoll. Aber „Schriftsteller"?
Alle Gesichter werden länger
Der literarische Geist, gleichviel, ob er
sich redend oder gestaltend äußere,
ist die vornehmste, die höchste Offen-
barung des Menschengeistes über-
haupt. Er ist es, der das Verständnis
für alles Menschliche weckt, der Sitti-
gung, Veredelung, Bildung verbreitet,
der die Schwächung dummer Über-
zeugungen und Werturteile betreibt
und, während er die Sittlichkeit ver-
feinert und reizbar macht, zugleich
doch zum Zweifel, zur Gerechtigkeit
und Güte erzieht. Seine öffentliche
Geltung kann nicht hoch genug sein
Thomas Mann (1910)
Vissza