Fülszöveg
Zu einem Besuch lädt dieses Buch ein. Zum Besuch bei
Anatoli Lwowitsch Kaplan in Leningrad, in seiner un-
weit von Schloßplatz und Newski-Prospekt gelegenen
Wohnung. Denn dort hängen an den Wänden aller
Räume, stehen in und auf den Schränken zahlreiche
der Keramiken, die in unserem Buch abgebildet sind.
Man sitzt zusammen mit dem berühmten und dabei so
bescheidenen sowjetischen Künstler, dessen Herzlich-
keit und Güte sogleich jede Fremdheit aufheben und
das Gefühl menschlicher Nähe entstehen lassen, man
hört ihn, der auch im Alter unermüdlich tätig ist, von
neuen Arbeiten berichten, und man läßt dennoch den
Blick ständig umherwandern zwischen all den Kostbar-
keiten, die ringsum zu bewundern sind: den strahlend
farbigen, vielfach wie mit Edelsteinen verzierten oder
goldglänzenden Reliefplatten und Figuren, Tellern und
Kacheln, den ausdrucksvollen unbemalten Kleinplasti-
ken und Reliefs. Also wie in einem Museum? Man
sitzt im Familienkreis beieinander, der Tisch...
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Fülszöveg
Zu einem Besuch lädt dieses Buch ein. Zum Besuch bei
Anatoli Lwowitsch Kaplan in Leningrad, in seiner un-
weit von Schloßplatz und Newski-Prospekt gelegenen
Wohnung. Denn dort hängen an den Wänden aller
Räume, stehen in und auf den Schränken zahlreiche
der Keramiken, die in unserem Buch abgebildet sind.
Man sitzt zusammen mit dem berühmten und dabei so
bescheidenen sowjetischen Künstler, dessen Herzlich-
keit und Güte sogleich jede Fremdheit aufheben und
das Gefühl menschlicher Nähe entstehen lassen, man
hört ihn, der auch im Alter unermüdlich tätig ist, von
neuen Arbeiten berichten, und man läßt dennoch den
Blick ständig umherwandern zwischen all den Kostbar-
keiten, die ringsum zu bewundern sind: den strahlend
farbigen, vielfach wie mit Edelsteinen verzierten oder
goldglänzenden Reliefplatten und Figuren, Tellern und
Kacheln, den ausdrucksvollen unbemalten Kleinplasti-
ken und Reliefs. Also wie in einem Museum? Man
sitzt im Familienkreis beieinander, der Tisch ist ge-
deckt mit jüdischen Speisen, Mazza, Tee und Wein,
doch das allein ist es nicht. Man fühlt sich deshalb kei-
nen Augenblick wie im Museum, weil jede dieser Kera-
miken uns etwas erzählt über den Menschen, der sie
geschaffen hat, etwas aus seinem Leben und aus dem
seines Volkes. Da sehen wir in vielfältigen Gestaltun-
gen den Fiedler auf dem Dach, die jüdische Kinder-
schule, Liebespaare, Brautleute unter dem Trauzelt,
Hochzeitsmusikanten und Tanzende. Da segnen Frauen
die Sabbatkerzen und brennen Chanukkaleuchter, blik-
ken uns die gekrönten Häupter von David und Esther
an, steht auf dem Arbeitstisch des Künstlers ein «Leuch-
ter mit den Zehn Geboten». Da erinnern uns Ge-
denkreliefs an die von deutschen Faschisten ermordeten
Eltern Kaplans. Da sehen wir Teller zur Geschichte vom
Zicklein, begegnen Gestalten Scholem Alejchems und
Isaak Babels, vernehmen wir aus dem großen Kera-
mikzyklus nach Schostakowitschs Vertonungen jü-
discher Volkspoesie Lieder der Klage, der Liebe, Lie-
der von der Armut und Not des früheren und von der
Vissza